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See detailsDas Statistische Zentralamt Norwegen fand heraus, dass die Norweger jedes Jahr circa 110.000 Tonnen Textilien wegwerfen. Das Meiste davon ist Kleidung. Nur sieben Prozent werden wiederverwendet oder recycelt.
In Anbetracht ständig wechselnder Trends mag der Begriff „nachhaltige Mode“ widersprüchlich klingen. Doch in der norwegischen Fashion- und Bekleidungsindustrie begegnet er einem immer wieder – und das zu Recht.
“Nachhaltigkeit steht schon lange ganz oben auf der Liste vieler Vertreter der norwegischen Modeindustrie. Doch in den letzten Jahren ist sie noch wichtiger geworden“, sagt Ditte Kristensen.
Sie ist die Chefin von Oslo Runway, einem jungen norwegischen Fashion-Event, und weiß, mit welchen Herausforderungen sich die Industrie in Sachen Nachhaltigkeit konfrontiert sieht. Wahl der Materialien, Verwendung von Chemikalien, übermäßiger Wasserverbrauch, Transport, Überproduktion und Entsorgung sind alles Faktoren, die es zu berücksichtigen gilt.
Laut Kristensen gibt es mehr und mehr Einzelpersonen und Organisationen (darunter auch der Copenhagen Fashion Summit), die für mehr Nachhaltigkeit in der internationalen Modewelt eintreten und die Notwendigkeit einer Veränderung hervorheben.
Besonders die Norweger haben sich der Sache verschrieben, sagt Kristensen. Das liege zum Großteil an grundlegenden norwegischen – und nordischen – Werten.
„Egalitarismus, Geschlechtergleichheit, Toleranz und Offenheit sind in der norwegischen Gesellschaft tief verankert. Auch in der Modewelt spiegeln sie sich wieder und machen diese so auch für ein internationales Publikum attraktiv. Für viele Akteure der Industrie ist die Übernahme sozialer Verantwortung integraler Bestandteil eines jeden Geschäftsbereichs.“
Auch die Konsumenten kaufen laut Kristensen Kleidung viel bewusster.
„Heute achten mehr Leute darauf, wo ein Kleidungsstück produziert und aus welchen Materialien es gefertigt wurde. Auch Recycling spielt eine Rolle. Der Konsument von heute ist weit aufgeklärter und erwartet von Luxusmarken gute Antworten auf seine Fragen sowie Qualität.“
Auch Oslo Runway hat Maßnahmen ergriffen, um sich dem Thema Nachhaltigkeit weiter anzunähern.
„Wir haben jetzt einen Experten in unserem Vorstand, der uns helfen soll, das Event nachhaltiger zu gestalten. Das Industrienetzwerk Norwegian Fashion Hub stellt Nachhaltigkeit ebenso in den Vordergrund. Es arbeitet strategisch mit zahlreichen norwegischen Modeunternehmen am Ausbau von Fachwissen und an der Entwicklung von Geschäftsmodellen, um eine Wende in der Industrie zu fördern.“
„Ich habe eine Abneigung gegen die Ungenauigkeit der überkommerziellen Bekleidungsindustrie entwickelt. Unser extrem hektisches Konsumverhalten sorgt dafür, dass die Industrie in einer Produktionsstruktur feststeckt, mit der sich nur sehr schwer brechen lässt,“ sagt Gisle Mariani Mardal, Innovationsleiter des Norwegian Fashion Hub.
Er studierte Kleidungsdesign in London und arbeitete danach unter anderem lange für H&M. Schon bald wurde er mit den „Prinzipien des Überkonsums in der Gesellschaft“ vertraut, wie er es nennt. „Bei der sogenannten ’Fast Fashion’ geht es darum, große Mengen an Kleidung zu den niedrigsten Peisen zu verkaufen. Dies führte zu einer Überproduktion und einem akuten Abfallproblem. Dazu kommt, dass die Kleidungsstücke oft in Niedrigpreisstaaten produziert werden, wo es kaum Sanktionen für Menschenrechtsverletzungen, Grundwasserverschmutzung und so weiter gibt.“
Mardal berichtet, dass die meisten großen Ketten mit der verantwortungsvollen Entsorgung ihres unverkauften Inventars zu kämpfen haben.
„Viele der größten Akteure bekommen das unterm Strich zu spüren. Der Markt ist konstant gesättigt. Die Kunden können einfach nichts mehr kaufen.“
„Wenn alle Industrien so weitermachen und Ressourcen überbeanspruchen, könnte unsere Existenzgrundlage letztlich zerstört werden“, warnt er. „Alle – auch die Mode- und Bekleidungsindustrie – müssen ihre Arbeitsweise in Zukunft anpassen.“
Langsam, so Mardal, tut sich etwas, um diese Entwicklung umzukehren – auch in Norwegen.
„Die großen Bekleidungsunternehmen sind in ihren Strukturen so festgefahren. Sie können ihre Geschäftsmodelle nicht so einfach ändern. Auf der anderen Seite ist Norwegen, was Mode anbelangt, ein recht junges Land. Wenn wir mit gutem Beispiel vorangehen, können wir nur gewinnen“, sagt er.
Mardal nennt einige Vorteile, die Norwegen und den skandinavischen Ländern in den nächsten Jahren einen Vorsprung als Modenationen geben könnten.
„Wir haben die Technologie, das Wissen und den Willen, noch dazu eine lange Designgeschichte, gute Rohstoffe und saubere Energie. Das alles müssen wir zusammenführen“, sagt er.
In der Folge hat der Norwegian Fashion Hub das Oslo Fashion & Textile Lab ins Leben gerufen, ein Gemeinschaftsprojekt, das ergründen möchte, wie die Textilindustrie neue Technologien und die Digitalisierung nutzen kann, um Kleidung nachhaltig zu entwerfen und zu produzieren.
Zu den Teilnehmern des Projekts zählen die norwegischen Firmen Helly Hansen, Norrøna, Livid Jeans, Days Like This und Lillunn, repräsentiert durch die Designerin Elisabeth Stray Pedersen.
„Mein Unternehmen ist fast wie ein Forschungsprojekt, nur dass hier Geld im Spiel ist“, sagt Elisabeth Stray Pedersen.
Die Designerin hat sich in den letzten Jahren mit ihrer Kollektion lokal produzierter Wollkleidung einen Namen gemacht. Pedersen kaufte eine Fabrik, die seit 1953 für die Marke Lillun Kleidung hergestellt hat. Heute befindet sie sich in Oslo und stellt Stücke sowohl für Lillun als auch für Pedersens eigenes Label ESP her.
„Ich wollte wissen, wie sich der Produktionsprozess optimieren lässt. Wenn man sein Unternehmen an lokalen Ressourcen ausrichten möchte, werden einem die potenziellen Herausforderungen in Sachen Nachhaltigkeit bewusst. Da ich in den Produktionsprozess direkt eingebunden bin, bin ich von diesen Herausforderungen direkt betroffen. Schon beim Entwerfen muss ich Faktoren wie Abfälle, aber auch andere Kennzahlen im Blick behalten“, sagt Pedersen.
Da ihre Produkte mit Hilfe fortschrittlicher 3D-Technologie vor Ort entwickelt werden, sind die Wege zu den Kunden kurz.
„So können wir stärker in Rohstoffe und die Produktion investieren. Der Kunde zahlt dann hauptsächlich für das Kleidungsstück – nicht für die Zwischenhändler. Mit einer gesteigerten Nachfrage könnten wir zudem Qualität und Preis unserer Entwürfe verfeinern, was wiederum den Wert norwegischer Wolle steigern würde.
Pedersens Produktionskapazitäten sind begrenzt. Ihr Kundenkreis ist verhältnismäßig klein und wohlhabend. Sie gibt zu, dass dies ganz andere Rahmenbedingungen sind als die großer Konzerne, die die Massen beliefern.
„Aber losgelöst vom Produktionsvolumen: Ein Produkt muss mit dem Ökosystem im Einklang sein. Jeder Produktionsabschnitt, seien es Energieversorgung oder das Abfallmanagement, muss untersucht werden, um festzustellen, was noch verbessert werden kann“, sagt sie.
„Ein großer Teil der Bekleidungsindustrie basiert auf der Verwendung von Materialien, die in der Theorie ein Leben lang halten können. Unser Konsumverhalten jedoch geht in die genau andere Richtung. Kleidungsstücke gelten schon nach einer Saison als altmodisch. Das stellt uns in allen Bereichen vor Herausforderungen, ob beim Design oder der Abfallentsorgung“, erklärt Pedersen.
Pedersen wird ihre Erfahrungen im Oslo Fashion & Textile Lab teilen. Ziel ist es hier voneinander zu lernen.
„Die Kooperationsbereitschaft ändert sich. Ganz allgemein findet nun viel mehr Wissensaustausch zwischen Unternehmen und Industrien statt. Dank fortschrittlicher Technologien haben wir die Möglichkeit, eine intelligente, nachhaltige Bekleidungsindustrie zu errichten, die auf einfache, nahtlose Prozesse setzt“, sagt Pedersen.
Auch die Einstellung ihrer Kunden sei eine andere.
„Mehr und mehr Menschen scheinen wissen zu wollen, wo ihre Kleidung herkommt. Es verhilft ihnen zu einem besseren Gewissen. Wir versuchen das Design unserer Stücke zudem nicht so stark an den Trends der Modeindustrie zu orientieren, damit unsere Kunden einen Mantel haben, der über mehrere Jahre modisch ist“, schließt Pedersen.
Der Oslo Runway AW19 findet im February 2019 statt.