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Wo Häuser zu Kraftwerken werden

18. März, 2020
VON The Explorer
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Ivar Kvaal

Das norwegische Unternehmernetzwerk Powerhouse entwickelt und baut Gebäude, die mehr Energie produzieren als sie verbrauchen.

Im mittelnorwegischen Trondheim versorgt ein Bürohaus seine Nachbargebäude sowie elektrische Busse, Autos und Boote über ein lokales Stromnetz mit erneuerbarer Energie. Das Bürogebäude Brattørkaia, am Hafen von Trondheim gelegen, produziert im Durchschnitt mehr als doppelt so viel Strom, wie es täglich verbraucht. Es ist ein wahres Kraftwerk – und nicht das einzige seiner Art in Norwegen. Die Tatsache, dass Gebäude weltweit 40 Prozent der gesamten globalen Kohlenstoffemissionen verursachen, treibt Norwegen an, den Bausektor und das Gebäudemanagement vollständig zu elektrifizieren und die beiden Branchen von Umweltsündern zu Pionieren des Klimaschutzes zu transformieren. Das Unternehmernetzwerk Powerhouse ist dabei der wichtigste Akteur.

Immer mehr energiepositive Gebäude in Norwegen

Bisher wurden in Norwegen neben dem Bürogebäude Brattørkaiadrei drei weitere Powerhouse-Gebäude (in Deutschland Aktivhäuser genannt) fertiggestellt: eine Schule in der Stadt Drøbak, ein Wohnhaus im Landkreis Telemark, genannt der “Grüne Diamant”, und ein renoviertes Bürogebäude aus den 1980er Jahren in Kjørbo bei Oslo. Das Hotel SVART befindet sich in der Entwicklung.

Das Trondheimer Vorzeigeprojekt Brattørkaia wurde vom international renommierten Architektur- und Designbüro Snøhetta entworfen, Generalauftragnehmer war der schwedische Baukonzern und Projektentwickler Skanska, Bauherr die norwegische Immobilienfirmen Entra. Die Bauarbeiten starteten im April 2017 und wurden im Februar 2019 abgeschlossen. Im August 2019 zogen die ersten Mieter ein.

Die Tatsache, dass das Gebäude mehr Energie produziert als es während seines gesamten Lebenszyklus, von der Herstellung von Baumaterialien bis hin zu Bau, Betrieb und Abriss verbraucht, und täglich doppelt so viel Strom erzeugt als es nutzt, macht das Gebäude zu einem der umweltfreundlichsten Häuser der Welt.

Für ein Leben im Energiesparmodus wurden 2.000 Quadratmeter Sonnenkollektoren auf dem Dach, 500 Quadratmeter Sonnenkollektoren an der Fassade und eine Meerwasserwärmepumpe im Trondheimfjord installiert. Brattørkaia steht auf einem Gelände am Hafen von Trondheim, das sich gegenwärtig von einem Industriegebiet zu einem grünen Geschäftsviertel entwickelt. Für Heizung und Kühlung von Brattørkaia wird Meerwasser genutzt.

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Powerhouse Brattørkaia.

Abbildung: Snøhetta

Große Herausforderungen, großer Nutzen

Rune Grasdal, Senior Architect bei Snøhetta, erklärt, dass die Schaffung energiepositiver Gebäude viel mehr beinhaltet als die Entwicklung von Gebäuden mit intelligenten technologischen Lösungen für Energieeffizienz und Energieerzeugung. „Eine Herausforderung bestand zum Beispiel darin, eine Decke zu entwerfen, die den akustischen und visuellen Anforderungen entspricht und gleichzeitig ein Thermodach ermöglicht, was für die Regulierung des Raumklimas im Gebäude unerlässlich ist. Das Beleuchtungssystem wurde maßgeschneidert und speziell für die Decke entwickelt. Die intelligente Lichtsteuerung stellt sicher, dass das Licht den Benutzern nahtlos und diskret folgt. Außerdem wurde der Energieverbrauch für die Beleuchtung erheblich gesenkt.“

Auch die Dachkonstruktion hat den Architekten einiges abverlangt. Schließlich musste sie so gestaltet werden, dass die Sonnenkollektoren ihre maximale Wirkung entfalten. Um genügend Sonnenlicht einzufangen, musste das Dach geneigt werden. Dies machte das Gebäude höher, als es der Bebauungsplan erlaubte. Also mussten entsprechende Genehmigungen eingeholt werden – das erforderte zusätzliche Zeit und Arbeit.

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Ruhige Zimmer im Powerhouse Kjørbo, Norwegens erstem Bürogebäude, das mehr Energie produziert als es verbraucht.

Eivind Røhne

Gemeinsam mehr Power für weniger Kohlendioxid

Partner des Projektes Brattørkaia ist die norwegische Vereinigung Powerhouse – ein Netzwerk führender Akteure der norwegischen Bauindustrie, deren Ziel es ist, Gebäude mit einer positiven Energiebilanz zu errichten. Beteiligt sind die Unternehmen Entra Eiendom, Skanska, Snøhetta, die Umweltorganisation ZERO, der Aluminiumkonzern Hydro, das Unternehmen für Aluminiumprofile Sapa und die Consultingfirma Asplan Viak. Das renommierte Architekturbüro Snøhetta, das unter anderem die Alexandria-Bibliothek, das Osloer Opernhaus und den Pavillon des Nationalen Gedenkmuseums vom 11. September entworfen hat, gehört zu den Initiatoren der Unternehmervereinigung.

„Wir arbeiten daran, den großen CO₂-Fußabdruck der Bauindustrie zu verringern und Gebäude zu bauen, die im Laufe ihres Lebenszyklus’ mehr Energie produzieren als sie verbrauchen. Das schließt Bau und Abriss ein. Dabei gehen wir keinerlei Kompromisse ein, nicht bei der Qualität der Architektur und nicht beim Nutzerkomfort“, erklärt Rune Grasdal. Für den Architekten ist es wichtig, dass die gesamte Wertschöpfungskette zusammenarbeitet, um die Vision eines energiepositiven Gebäudes zu verwirklichen. Die Einbeziehung der gesamten Wertschöpfungskette vom ersten Tag an sei wahrscheinlich der einzige Weg, um ein solch ehrgeiziges Ziel zu erreichen. Neben dem Bauunternehmer, dem Bauherrn und den Architekten müssten unbedingt auch Berater für Elektro-, Wasser- und Sanitärsysteme an Bord sein.

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Die Decke wurde für eine optimale Regulierung des Raumklimas konzipiert und verfügt über ein intelligentes Beleuchtungssystem.

Abbildung: Entra

Ein neuer Standard für die Zukunft

Die verschiedenen Akteure der Powerhouse-Konstellation arbeiten nun schon seit zehn Jahren zusammen. Die Gründung des Netzwerkes war das direkte Ergebnis der ersten Zero Emissions-Buildings-Konferenz in Norwegen im Jahr 2010. Auf der Konferenz wurden die Teilnehmer nachdrücklich aufgefordert, aktive Schritte zur Reduzierung der Klimabelastung der Bauindustrie zu unternehmen. Snøhetta trieb die Sache voran. Daraus sei die Zusammenarbeit entstanden, die noch immer den Kern von Powerhouse bildet, so Grasdal.

Im Herbst 2019 hat Powerhouse einen neuen Standard für zukunftssichere Gebäude eingeführt, genannt “Powerhouse Paris Proof”. Der Standard basiert auf dem 1,5-Grad-Ziel des Pariser Abkommens und legt eine Obergrenze für die gesamten Treibhausgasemissionen eines Gebäudes während seiner gesamten Lebensdauer fest. Eine weitere Voraussetzung, um diese Zertifizierung zu erhalten: Das Gebäude muss mehr Energie produzieren als es verbraucht. Außerdem entwickelte die Powerhouse-Vereinigung 2018 den “Smart by Powerhouse-Leitfaden”, der wichtige Hinweise zur Errichtung von Gebäuden gibt, die mehr Energie abgeben als sie verbrauchen und der zeigt, wie neue und vorhandene Technologien in Gebäuden und im Bauwesen richtig eingesetzt werden können.

Effizientere Systeme für alte Häuser

Das erste von den Kooperationspartnern realisierte Projekt und das erste energiepositive Gebäude in Norwegen überhaupt und wahrscheinlich sogar das erste der Welt war das Bürohaus Kjørbo in Sandvika außerhalb von Oslo. Das Forschungszentrum für emissionsfreie Gebäude ZEB und die staatliche Investitions- und Entwicklungsagentur Enova waren wichtige Partner bei der Realisierung des Projekts. Kjørbo liegt direkt am Meer in Sandvika in der Gemeinde Bærum außerhalb von Oslo. Die beiden renovierten Gebäude mit einer Fläche von ca. 2.600 Quadratmetern wurden 1980 erbaut – damals noch wenig energiefreundlich. Zusammen hatten sie einen Energieverbrauch von 250 kWh pro Quadratmeter pro Jahr. „In bestehenden Gebäuden steckt viel Energie im Beton. Diese zu renovieren und das strukturelle System und andere Bauelemente zu erhalten und wiederzuverwenden, ist ebenfalls eine wichtige Umweltmaßnahme“, sagt Grasdal. Mit der Renovierung wurde der Energieverbrauch um 86 Prozent gesenkt.

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An der Fassade des Powerhouse Brattørkaia sind 500 Quadratmeter Sonnenkollektoren installiert.

Ivar Kvaal

Ein Hotel als Labor für Nachhaltigkeit

Gegenwärtig entwickeln die Unternehmen von Powerhouse gemeinsam mit MIRIS AS ein Hotel mit negativem CO₂-Ausstoß, das in der Nähe des Svartisen-Gletschers in Nordnorwegen gebaut wird. Das netzunabhängige Gebäude, genannt Svart Hotel, soll sogar 60 Prozent mehr Energie produzieren als es verbraucht und größtenteils aus Holz bestehen. SVART soll als Prototypenlabor in Sachen Nachhaltigkeit fungieren.

SVART ist eine neue architektonische Herausforderung für Powerhouse. Beim Architekten Grasdal löst das Begeisterung aus. „Ich arbeite gerne mit Powerhouse zusammen, weil ich als Architekt Lösungen einbringen kann, die dazu beitragen können, den vom Menschen verursachten Klimawandel einzudämmen und ich mich gleichzeitig auf gute Architektur konzentrieren kann“, sagt er. Der ökologische Nutzen energiepositiver Gebäude sei nicht zu unterschätzen. Durch die Umwandlung von Gebäuden von Verursachern von Kohlendioxid zu Produzenten erneuerbarer Energien zeige Powerhouse den Weg, den die Bauindustrie einschlagen muss, um ihren Beitrag dazu zu leisten, die globale Erwärmung auf 1,5 ° C zu begrenzen.